Unter Notwehr wird die Verteidigung verstanden, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich abzuwenden. Es ist also erlaubt, sich der Verteidigung zu bedienen, die notwendig ist, um einen gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriff auf Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, Freiheit oder Vermögen von sich oder einem anderen abzuwehren.
Die Handlung ist jedoch dann nicht mehr gerechtfertigt, wenn es offensichtlich ist, dass dem Angegriffenen bloß ein geringer Nachteil droht und die Verteidigung, insbesondere wegen der Schwere der zur Abwehr nötigen Beeinträchtigung des Angreifers, unangemessen ist.
Jüngst hatte sich der OGH damit zu befassen, ob auch ein starker Faustschlag in das Gesicht als Notwehr angesehen werden kann, wenn dem Angegriffenen keine anderen verlässlichen Abwehrmöglichkeiten zur Verfügung stehen.
Zwei Bekannte trafen zufällig aufeinander, wobei einer stark alkoholisiert war und den anderen provozierte, schubste und zu schlagen versuchte. Als der betrunkene Angreifer seinem Bekannten eine Ohrfeige verpassen wollte, schlug ihm dieser mit der Faust ins Gesicht, was aber ohne Folgen blieb. Als der Angreifer weiterhin versuchte, seinen Kontrahenten zu schlagen, lief dieser zunächst weg, wurde jedoch vom Angreifer verfolgt. Dann drehte sich der Flüchtende um und schlug dem Bekannten neuerlich mit der Faust in das Gesicht, wodurch dieser eine Fraktur erlitt.
Der Oberste Gerichtshof teilt im Ergebnis die Rechtsansicht, dass es zulässig sei, dass sich der Angegriffene gegen den neuerlichen Versuch, ihn zu schlagen, mit einem Faustschlag zur Wehr setzt. Dabei wurde berücksichtigt, dass der Angegriffene dem Angreifer körperlich unterlegen und dieser aufgrund seiner Alkoholisierung unberechenbar war. Außerdem hatte der Angegriffene zunächst ohnehin versucht, dem Aggressor durch eine Flucht zu entgehen. Da der erste Faustschlag den Angreifer nicht von weiteren Aggressionen abgehalten hatte, war es gerechtfertigt, den zweiten Schlag mit einer höheren Intensität auszuführen.
OGH 1 Ob 137/24i